Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Ein Hauch von Hollywood Tatort Filme Inhalt Besetzung Stab Presse Photos Auswertung

Regisseur Urs Odermatt – der Mann mit der Vorliebe für sprechende Köpfe in Großaufnahme – präsentiert diesmal einen mysteriösen Fall von Entführung und Mord, dessen Personal unter anderem aus einem deutschen Hollywoodstar, einem irren Messerstecher und einem eifersüchtigen Ehemann besteht. Mittendrin die leicht genervten Ermittler Roiter und Zorowski, denen dieser Hauch von Hollywood doch zu sehr nach Kleinbürgermief stinkt.

 

Die extrem stilisierte Inszenierung mit ebensolchen Dialogen schuf eine surreale Atmosphäre, die sicherlich nicht jedermanns Geschmack getroffen hat. Wer sich jedoch darauf einließ, erlebte einen formal und ästhetisch ungewöhnlichen Fernsehkrimi, der immer wieder den Mut zu ungewöhnlichen Bildern und Motiven fand.

Lutz Gräfe

Ungewöhnliche Motive

Berliner Morgenpost, 14. Juli 1998

 

*

 

...auch wenn man immer wieder daran erinnern muß, daß der angeblich schlechteste Tatort Ein Hauch von Hollywood in Wahrheit ein Meisterwerk ist.

Matthias Dell

„Tatort“-Großkritiker, über Schwarmintelligenz im Netz

Die Zeit, Hamburg, 4. März 2018

 

*

 

Gemäß der legendären Rangliste auf tatort-fundus.de auf dem letzten Platz: als schlechtester Tatort aller Zeiten. Das ist leider Quark. Die Aufregung über die flachen Videobilder, in denen der SFB die Roiter-Zorro-Jahre (1994–1998) bestritt, kann sich im digitalen Heute vermutlich keiner mehr vorstellen. Und formal ist der Film von Urs Odermatt in Wirklichkeit ganz weit vorn: Es wird auf Anschluß gesprochen, es ist komisch, und das ist gewollt. Das Beste, was das Theater dem Film vermachen kann. Und das Berlin dieser Zeit erkennt heute auch niemand mehr wieder.

Matthias Dell

Die besten „Tatorte“ aller Zeiten

Die Zeit, Hamburg, 21. Juni 2020

 

*

 

Freitag, der 13. Februar 1998, in Berlin. In der Winterfeldstraße ist’s bitter kalt. Draußen steht der Lastwagen, Generatoren knattern, die Crew richtet sich ein. Frau Börger – so heißt die Dame, die hier eigentlich wohnt – hat nichts mit dem Film zu tun, geschweige denn mit dem Mord, sie ist weg. An ihrer Stelle begrüßt mich Urs Odermatt: „Hallo“, und „Kommen Sie doch rein.“

 

Die Stimmung ist gut. Am 18. Drehtag verträgt man sich immer noch, und die wichtigsten Szenen sind im Kasten. Eigentlich ist alles paletti, aber Assistenzkommissar Zorro alias Robinson Reichel weiß: „Odermatt ist immer für eine Überraschung gut“. Die Arbeitsweise des Schweizer Regisseurs sorgt für Spannung – im positiven Sinn. Im Drehbuch fehlen zum Beispiel jegliche Regieanweisungen. „Es ist ein reines Textbuch“, weiß Reichel. Die Schauspieler können sich somit nur schwer vorbereiten und müssen auf die direkten Inputs des Regisseurs reagieren.

 

Odermatt verlangt Fleiß, Konzentration und Disziplin, Schlagworte, die er immer wieder gerne braucht. „Die neue Lockerheit geht mir deswegen nicht ab“, bemerkt der Nidwaldner schmunzelnd, „aber wenn die Kamera läuft, ist alte Schule angesagt.“

 

Kamera? Läuft! Ton? Läuft! Die Klappe fällt. Odermatt beobachtet, korrigiert und fordert – „manchmal bis an die Grenzen des Menschenmöglichen“, sagt Reichel. Für den Regisseur ist klar: „Die Szene muß genau so sein, wie ich sie mir vorgestellt habe.“ Für Ideen von Seiten der Schauspieler bleibt da wenig Platz. Und doch schätzt auch Hauptdarstellerin Marie-Lou Sellem die Zusammenarbeit: „Akribie, Ausdauer und Auseinandersetzung erinnern mich ganz stark an die Theaterarbeit.“

 

Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Neben seiner Arbeit als Regisseur (Wachtmeister Zumbühl, Gekauftes Glück) inszeniert Odermatt auch auf deutschen Bühnen. Deshalb ist für den Polizistensohn klar: „Für  meine Filme engagiere ich nur Schauspieler, die ich vorher auch auf der Bühne gesehen habe. Ich brauche Leute, die ihr Handwerk verstehen.“

 

Anweisung zur Mittagspause! Nebenan im Lokal wurde für uns gekocht. Der „Prototyp des Schweizer Uhrwerks und des Offizierstaschenmessers“ (Zitat Reichel) sitzt am Tisch und scherzt mit den Schauspielern: „Normalerweise heulen sie ja während des Essens, das ist heute eine Ausnahme.“

 

Bei Suppe und Brot kommen wir auf das Drehbuch zu sprechen. Er habe alle Dialoge geändert, sagt Odermatt bestimmt. „Entweder kann man schreiben, oder man kann es nicht!“ Schauspieler Götz Schubert scherzt: „Das aktuelle Drehbuch ist tatsächlich viel besser, aber auch nicht so perfekt, daß man auf jedem Buchstaben beharren müßte! Gestern habe ich ein ‚Hmm‘ eingebaut, das schneidet er bestimmt raus!“ Odermatt lacht schallend. Er gefällt sich in der Rolle des gnadenlosen Dirigenten. Wie ernst er sich selbst nimmt, ist nicht klar. Für seine trockene Komik und den selbstironischen Touch schätzt man den Chef jedoch. „Sein Humor ist sehr britisch – absurd und schwarz“, bemerkt Reichel. Da hört der Regisseur gerne: „Mein Ziel ist nicht Hollywood. Ich habe meine Vorbilder in England.“

 

Sein Tatort nähert sich dem Starruhm denn auch auf ironisierende Weise. Odermatt liefert eine böse Satire auf das Krimigenre. Tolpatschige Kommissare winden sich in unmöglichen Situationen, vermeintliche Actionszenen werden zur lächerlichen Farce, und zum Schluß gibt’s eine gehörige Portion Pathos à la Casablanca.

Flavia Brüesch

TR 7, Zürich, 29/1998

 

*

 

Ein Hauch von Godard.

Reihnhold Hönle

Aargauer Zeitung, 11. Juli 1998

 

*

 

Beim inszenierten Sturz von Falk Rockstroh als drehender Fernsehreporter durchs Eisloch in den zugefrorenen Wannsee lief die Kamera weiter und drehte unter Wasser mit, wie drei Taucher zwischen aufgebrachten Fischen den Schauspieler sicherten und ihn unter Eis zum offenen Loch zurücklotsten. Diese schrägen Bilder waren selbstverständlich in meinem Director’s Cut. Das Theater bei der Abnahme beim Sender war großes Theater: Bruch der vierten Wand, Bruch der Filmillusion. In einem Tatort! – da schrammste knapp an Erschießen vorbei!

Urs Odermatt

Kino Tilsiter Lichtspiele, Berlin, 19. Juli 2013

 

*

 

Einer meiner Top-fünf-Tatorte – wegen seiner parodistischen und theatralen Inszenierung.

Dr. Christian Hißnauer

Institut für deutsche Literatur, Humboldt-Universität Berlin

in: Thomas Kopietz

Hessische/Niedersächsische Allgemeine, Kassel, 18. Februar 2019

Zorro

Totalskij no problemskij.

 

Dr. Jansen

Russisch?

 

Zorro

Russisch für Ausländer.

 

*

 

Dreißig Regisseure wollten sich am Drehbuch von Ein Hauch von Hollywood nicht die Finger verbrennen. Erst der für seine radikalen Filmexperimente bekannte Urs Odermatt (Der böse Onkel) griff zu. Seine „Trash-Granate“, wie ein Internet-User den Film kommentiert, ist eine unterhaltsame Satire aufs deutsche Filmgeschäft.

Julia Stephan

Luzerner Zeitung, 16. Januar 2016

 

*

 

Matthias Dell

Über Ihren „Tatort“ „Ein Hauch von Hollywood“ kann man lesen, er sei der schlechteste aller Zeiten.

 

Urs Odermatt

Ja?

 

Matthias Dell

Dabei ist er einer der besten: ein Experimentalfilm als „Tatort“.

 

Urs Odermatt

Es ist wohl nicht falsch, wenn jemand sagt, Ein Hauch von Hollywood sei gar kein Tatort, weil das Format nicht im Vordergrund stehe. Ich hatte große Lust, dieses Drehbuch, das mir angeboten wurde, weil dreißig andere Regisseure abgesagt hatten, zu inszenieren, so wie es für mich auch eine Herausforderung wäre, das Telephonbuch von Kassel zu inszenieren. Ich habe stark an den Dialogen gearbeitet und hatte mit Piotr Lenar einen tollen Kameramann. Von Doris Heinze, der damaligen NDR-Redakteurin, kam viel Widerstand, ich mußte heftig schneiden und zähmen. Da sind viele hübsche Dinge rausgefallen.

 

Matthias Dell

Was denn?

 

Urs Odermatt

Wir haben eine Zeugenbefragung in einem Arthouse-Filmstudio gedreht. Da gab es einen Lastenfahrstuhl, in dem – weil auch Arthouse-Filmleute von etwas leben müssen – hausintern Pornos gedreht wurden, inszeniert mit den Mutigen der Tatort-Crew. Mit einer wunderbaren Szene, in der Winfried Glatzeder mit Robinson Reichel in den Fahrstuhl steigt und zu spät merkt, daß sie sich auf einem Pornoset befinden. Beide lassen sich nichts anmerken, die Kamera zeigt ein Gespräch zwischen Glatzeder und Reichel, und hinter ihrem Rücken wird gevögelt. Man sieht die strengen Blicke der Kommissare; sie wissen genau, was da passiert, obwohl sie natürlich nicht hinschauen. Ein Hauch von Hollywood ist in der Form von allen meinen früheren Filmen Der böse Onkel wohl am nächsten.

Beiheft zu „Der böse Onkel“, Director’s Edition

nach: Der Freitag, Berlin, 6. Juni 2013

 

*

 

Eine groteske Parodie aufs Filmgeschäft – extrem filmisch mit harten Schnitten, ungewöhnlichen Perspektiven, einem merkwürdigen Drive durch Sprechen auf Anschluß und einem Rhythmus, der Geräusche, Atmer, und Töne choreographiert. Handwerklich ist Urs Odermatt – bei allen Obsessionen und Albernheiten – ein Könner.

Matthias Dell

Geschichten vom Tatort

Deutschlandfunk Kultur, Berlin, 28. November 2020