Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Mein Kampf Filme Inhalt Besetzung Stab Presse Photos Auswertung

If only the Academy of Arts in Vienna had taken him as a student. Then he might have pursued his dream to become an artist – very likely a mediocre one – and the world would have been spared. But young Adolf Hitler was rejected. What we see in the prologue of Mein Kampf, a disturbing feature film directed by Urs Odermatt, is an utterly desperate and skinny young man in shabby clothes. Bruised by the academy’s snub, he has tears in his eyes and a rope around his body, and he throws himself from a giant viaduct. Cut.

 

Yet this is not a story of suicide, but the beginning of something else. Adolf Hitler, an orphan at age 19, had left his hometown of Linz for Vienna in 1909 in the hopes of entering the arts academy there. According to some biographers, he spent three months in a shelter for homeless men in Meidling, in south-west Vienna. This is where the film is set.

 

Mein Kampf is a powerful film, adapted from a play of the same name by the late George Tabori, an important German playwright of Hungarian-Jewish origin. Of little importance is what is fact and what is fiction. What resonates is its unambiguous wisdom, humour and chutzpah.

 

The setting transports viewers to Vienna in 1910. The city has a high density of poor Jewish people, a high unemployment rate and run-down quarters – fertile ground for the needy pride of nationalism and anti-Semitism. „A quick war would solve all our problems,“ complains a frustrated butcher, referring to the Jews in his district.

 

Tom Schilling, a German actor, turns in a compelling performance as the young, unsophisticated, neurotic, insecure and totally uptight Adolf. Schlomo Herzl (Götz George), an older Jewish man in the neighbouring bed in the shelter, ends up feeling sympathy for the poor bumpkin. He takes Adolf under his wings, despite warnings from a friend who glimpses signs of greater distress. The film follows the awkward dynamic of this relationship: the more Adolf benefits from Schlomo’s help, the more he mutates into a devil. Schlomo helps Adolf understand his power to talk big. Calamity takes its course. In this parable of good and evil, good deeds inspire toxic ends.

 

The film is not afraid of injecting humour into this unique origination myth. Yet Mein Kampf is ultimately a very serious attempt to once again understand the pathology of a profoundly sick and commanding man.

Cornelia Günther

Imagining a Young Hitler, More Intelligent Life

The Economist, London, 24. März 2011

 

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Historisch herrlich unkorrekt...

Berliner Zeitung, 3. März 2011

 

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Das „heilige Zeichen der Germanen“ ist, wenn man Urs Odermatts Tabori-Verfilmung Mein Kampf Glauben schenken dürfte, zu Adolf Hitler (Tom Schilling) im Schlaf gekommen: In Form einer widerborstigen Kissenstickerei nämlich, die dem späteren „Führer“ rote Hakenkreuze auf die morgendlichen Wangen zauberte.

 

Überhaupt zeichnet sich dieser junge Tölpel, der da eines Tages aus der österreichischen Provinz mit einigen Zeichnungen unterm Arm und vielen Kunstaspirationen in Wien und wenig später schon im Obdachlosenheim aufschlägt, durch einen erklecklichen Mangel an Kreativität aus: Seine Bilder – manierierter Kitsch, von eh schon miesen Künstlern schlecht abgemalt. Die raunenden Sprüche aus verunsichertem Mund – irgendeiner rammdösigen Jungsliteratur unbeholfen abgelesen. Sein späterer Bart – vom Zimmergefährten, dem Juden Schlomo Herzl (Götz George), unter die Nase frisiert. Seine spätere Gestik – von Schlomo Herzl beim Straßenverkauf abgeschaut. Der Titel seines späteren Bestsellers, das später, natürlich rein platonisch, geliebte Gretchen (Anna Unterberger) – alles Schlomo Herzl abgeluchst.

 

Damit man es gleich recht versteht: Natürlich ist Schlomo Herzl rein fiktiv, eine Erfindung des Theatermanns George Tabori. Und ein Nazi ist der alte Mann, den Abkupfereien Hitlers zum Trotz, beileibe nicht: Eher Bonvivant und Prototyp eines intellektuellen, zwar schon durchtriebenen, doch im Grunde guten Clochards, der seine rechte Freude daran hat, wenn das junge Gretchen ihm die Füße massiert.

 

Den Aufsässigkeiten des verzogenen Hitlerbengels im Obdachlosenheim begegnet er mit einer fürsorglichen Herzensmilde, die schmerzlich nicht nur Hitlers Zukunft wegen ist. Der junge Hitler hier ist, wenn man so will, eine Art auf rechts gestrickter Emo, der larmoyant vor sich hinleidet, ein bißchen was gelesen hat, Frauen gegenüber nicht recht klarkommt und sich ansonsten gern in Weltekel und selbstattestiertem Geniekult suhlt. Sein Kampf? Sein Krampf!

 

Ein ganz normales, für die Geschicke seiner Mitmenschen unsensibilisiertes Sensibelchen also, Selbstmordversuch inklusive: Hitler als Rotzlöffel, als Witzfigur. Schon zu Beginn, wenn’s ihm die Zeichnungen vom Zug weht, hat er schon rein äußerlich was vom kleinen Tramp, der Chaplinfigur. Doch der tapsigen Unbeholfenheit liegt hier kein entwaffnend naiver, gütiger Blick in die Welt zugrunde, der noch aus dem größten Mißgeschick ein Märchen zaubert. Wenn diese Chaplinparodie noch beim Straßenbetteln scheitert, äugen aus ihr nur stumpfes Mißtrauen und blanke Mißgunst.

 

Noch als Hitler bei den Deutschnationalen landet, die Schlomo samt jüdischer Freunde auf Kimme und Korn nehmen, will Schlomo vom Hitlerjungen nicht lassen. Auf die anrüchige These, daß womöglich erst die Gutmütigkeit der Juden Hitler hervorgebracht hat, will sich Mein Kampf zwar nicht festlegen – zu bereitwillig erheben die stumpfsinnig brütenden Deutschnationalen rings um das Obdachlosenheim diesen Hitler mit seinen Floskeln und Gesten zur Gallionsfigur –, doch steht sie zumindest im Raum. Womöglich wäre das aber schon zu weit gedacht, und Hitler soll tatsächlich nur nach allen Regeln der Kunst blamiert und entdämonisiert werden: „Nicht einmal das Bärtchen hat er sich selbst ausgedacht!“

Thomas Groh

Sein Kampf? Sein Krampf!

Die Tageszeitung (taz), Berlin, 2. März 2011

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Auch Filmproduzenten aus dem Ausland entdecken Mitteldeutschland als unverbrauchten Drehort. Die Nähe zu Berlin erweist sich als Vorteil.

 

Beinahe wäre Budapest Wien geworden. Auf der Suche nach einem Straßenzug, der noch so aussieht wie ein Häuserensemble aus der Zeit des jungen Adolf Hitler, wurden die Leute von Schiwago-Film schnell in der ungarischen Hauptstadt fündig. „Sogar eine Baulücke für unsere Männerwohnheimkulisse gab es dort“, erzählt Produktionsleiter Frank Zahl. Doch leider hatte eben diese Brache schon ein Investor gekauft, der mit seinem Bauprojekt nicht warten wollte. Also war Budapest doch nicht das geeignete Wien für einen Film nach George Taboris Hitler-Farce Mein Kampf, und die „Location Scouts“ mußten weiterziehen. Sechzehn Orte in Mitteldeutschland fuhren sie ab. „Da gab es wirklich schöne Ansichten. Aber Thüringer Fachwerk und Schiefer eignet sich nicht für unser Vorhaben.“ Erst ganz am Schluß, am 30. Dezember, kam man auf Zittau.

 

In einer Mischung aus Ironie und Fatalismus sagen Zittauer manchmal, ihre Stadt beginne eben mit "Z" und danach komme nichts. Dabei ist Zittau schon lange nicht mehr das Ende der Welt. Spätestens seit der EU-Erweiterung vor vier Jahren liegt die einst reiche Handels- und Industriestadt wieder mitten in Europa. War Zittau wie andere historische Städte in DDR-Zeiten dem Verfall preisgegeben, ist es heute in seinem Zentrum bis auf wenige Straßenzüge vorbildlich saniert. Aber gerade eine dieser heruntergekommen Ecken, die so genannte Uhreninsel, fasziniert die Filmleute. Kaum eine andere Stadt sehe so „österreichisch“ aus, meint Zahl.

 

Tatsächlich spielten die Österreicher Zittau im Siebenjährigenkrieg erst einmal übel mit. Jahrzehnte zog sich danach der Wiederaufbau hin. Fast alle Gebäude im Zittauer Zentrum stammen deshalb aus der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts. „Wo sie nicht saniert sind, erzählen sie die Geschichte vom Rand-Wien der damaligen Zeit“, sagt Zahl. Und Regisseur Urs Odermatt schwärmt von einer kleinen „außerhabsburgischen Ecke“. Deshalb trifft dieser Tage der von Nachwuchsstar Tom Schilling gespielte junge Hitler im Männerwohnheim des Zittauer Wien-Nachbaus auf den jüdischen Buchhändler Schlomo Herzl (Götz George), der ihn vor dem Untergang in der Großstadt retten will und im am Ende sogar rät, in die Politik zu gehen.

 

Insgesamt dreiunddreißig Drehtage sind bis zum 18. Juni im deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländereck geplant. Derzeit suchen die „Location Scouts“ noch händeringend nach einer Eisenbahnbrücke für die Szene eines Selbstmordversuchs von Hitler. Das Zittauer Viadukt über die Neiße wäre zwar ideal für den Dreh. Doch müßte dann die grenzüberschreitende Bahnverbindung für eineinhalb Tage unterbrochen werden. Ein anderer, schon sicher geglaubter Drehort mußte wieder aufgegeben werden. Eigentlich war das Theater im tschechischen Liberec (Reichenberg) als Wiener Oper geplant. „Hier sind uns ein Stadtfest und der viele Verkehr dazwischen gekommen“, sagt Zahl. Kurzfristig kann die Crew nun in den polnischen Teil von Görlitz ausweichen, wo der Kulturpalast eine gute Kulisse abgeben wird.

 

Das nur knapp vierzig Kilometer von Zittau entfernte Görlitz war schon in den vergangenen Jahren mehrfach Drehort für zum Teil aufwendige internationale Produktionen. 2003 wurden Teile der Stadt zu einem Pariser Quartier, als Szenen für den Kinofilm In 80 Tagen um die Welt mit Jackie Chan entstanden. Vor wenigen Wochen erst haben sich neun Drehtage lange Teile der Stadt an der Neiße für den Film Der Vorleser nach einem Roman von Bernhard Schlink in das Heidelberg der fünfziger Jahre mit Straßenbahn, Kopfsteinpflaster und grauen Hinterhöfen verwandelt. In der Geschichte beginnt der fünfzehn Jahre alte Michael eine Affäre mit der 21 Jahre älteren Straßenbahnschaffnerin Hanna (Kate Winslet).

 

Schon sehen manche Görlitz auf dem Weg zu einer Filmstadt. Die kommunale Wirtschaftsförderung arbeitet an einer Werbekampagne, die Görlitzer sind ein wenig stolz darauf, daß mittlerweile sogar Paparazzi den Weg an die deutsche-polnische Grenze finden und Leute wie Kate Winslet auf Schritt und Tritt verfolgen.

 

Nicht nur Görlitz zieht Filmteams an. Derzeit entstehen Sequenzen für den Film The Last Station mit Helen Mirren in Sachsen-Anhalt. In dem Streifen geht es um die letzten Lebensmonate des russischen Dichters Leo Tolstoi – er starb auf einem Bahnhof. Im brandenburgischen Wittenberge werden häufig Geschichten gedreht, die in der DDR spielen. „Location Scouts“ sind regelmäßig begeistert von der Patina des Verfalls. Komparsen stehen geduldig und zu unschlagbar niedrigen Tagespauschalen zur Verfügung. Schon im Postproduktionsprozeß befindet sich der Streifen The Countess (Die Gräfin), in dem Julie Delpy eine slowakische Gräfin spielt, die im Blut von Jungfrauen gebadet haben soll, um ewige Jugend zu erlangen. Von der „Location“ Mitteldeutschland zeigte sich Delpy beeindruckt, als sie Anfang des Jahres im Meißener Dom und vor der Albrechtsburg sowie auf Burg Kriebstein im Zschopautal drehte.

 

Produzenten, Regisseure und Schauspieler loben, daß es in Ostdeutschland noch viel Unverbrauchtes und Authentisches gibt, das nicht wie mancher Ort im Westen „totgedreht“ ist. Zunehmend lockt das auch internationale Produktionen in den Osten. Während vor allem in Amerika alles aufwendig nachgebaut werden muß, gibt es in Mitteldeutschland historische Burgen und Bauten als Originalkulisse. Was die Filmleute sonst noch brauchen, läßt sich leicht beschaffen. „Für unser Wiener Männerheim war altes Holz nötig – für die Zittauer Handwerker kein Problem. Wir profitieren von der ostdeutschen Findigkeit“, berichtet Frank Zahl.

 

Das Team von Der Vorleser war auf der Suche nach der richtigen Straßenbahn in der Sächsischen Schweiz fündig. Die Babelsberger Produktionsfirma lieh sich Triebwagen Nummer fünf und Beiwagen Nummer zwölf von der historischen Krinitzschtalbahn in Bad Schandau aus, ließ den Zug in Beige neu lackieren, mit zeitgenössischen Werbeaufklebern versehen, mit einer großen Portion Schmutz übergießen und im Inneren auf „alt“ trimmen. Zwar ist der Zug längst wieder auf einem Tieflader in die Sächsische Schweiz zurückgekehrt, sein „Filmkostüm“ wird er aber die ganze Saison 2008 über behalten, denn Ende Juni soll Kate Winslet auch in die Sächsische Schweiz kommen, damit dort Sequenzen mit der „Heidelberger Straßenbahn“ gedreht werden können.

 

Lange Zeit gab es die Hoffnung, Mitteldeutschland könne – mit dem Zentrum Leipzig -– zu einer neuen Filmregion werden. Doch vor allem die Produktionsszene mit den Zentren München, Hamburg, Köln und zunehmend Berlin braucht kaum zusätzlichen Kapazitäten. Konsequent setzt deshalb die Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) auf die Vermarktung der Drehorte, und dabei erweist sich die Nähe zu Berlin nun als großer Vorteil. Regelmäßig bietet die von den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie dem Mitteldeutschen Rundfunk und dem ZDF gebildete Gesellschaft sogenannte Location-Touren für Regisseure und Produzenten an. Auf der Internetseite der MDM finden sich Städteporträts und ausführliche Hinweise für Drehgenehmigungen. Zudem fördert die MDM Filmprojekte – die Hitler-Farce Mein Kampf etwa wird mit 350’000 € unterstützt. Auch Fortbildungsveranstaltungen für Bürgermeister hat die MDM im Programm. Produktionsleiter und Szenenbildner zeigen den Kommunalpolitikern, wie sie Filmleute am besten unterstützen können. Der Zittauer Oberbürgermeister Arnd Voigt weiß auch ohne Nachhilfe, worauf es ankommt. So versucht er, die Sache mit dem Bahnviadukt für den Selbstmordversuch Hitlers zu regeln. Sogar an Bahnchef Hartmut Mehdorn hat sich Voigt schon gewandt. „Das Filmprojekt ist eine Riesenchance für Zittau, auf sich aufmerksam zu machen.“ Schon ein wenig ironisch sei freilich die Wendung, daß sich der Charme der unsanierten Uhreninsel als Chance für die Stadt erwiesen habe. So gut gefällt dem Oberbürgermeister die morbide Szenerie, daß er die Wiener Männerheim-Kulisse noch über den Sommer als Touristenattraktion stehen lassen will.

Reiner Burger

Zittau wird Wien, Görlitz Paris

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juni 2008

 

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In Zittau wird zurzeit der Kinofilm Mein Kampf gedreht. Die Stadt bietet ideale Drehbedingungen für Taboris Hitler-Farce.

 

Das Problem mit dem Viadukt läßt Zittaus Oberbürgermeister Arnd Voigt keine Ruhe: Wie überzeugt man die Bahnchefs in Deutschland und Tschechien davon, die grenzüberschreitende Verbindung über die Neiße für anderthalb Tage zu unterbrechen? Wegen Filmdreharbeiten! Das rührige Stadtoberhaupt will sich jetzt an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn persönlich wenden. Schließlich läßt Voigt seit Monaten nichts unversucht, um dem 50köpfigen Filmproduktionsteam, das Zittau als Drehort auserkoren hat, unter die Arme zu greifen.

 

Regisseur Urs Odermatt weiß das Engagement sehr zu schätzen. Schließlich ist die Filmgroteske Mein Kampf nach George Taboris herausragendem Theaterstück eine sehr aufwendige Kinoproduktion. Und eine, in die schon im Vorfeld hohe Erwartungen gesetzt werden: Mit dem großen Mimen Götz George und Nachwuchsstar Tom Schilling in den Hauptrollen thematisiert der Film Leben und Aufstieg des jungen Hitler im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts. Hitler (Schilling) kommt als 21jähriger aus der tiefsten österreichischen Provinz in die Großstadt, wo sich ausgerechnet ein Jude, der herzensgute Schlomo Herzl (George), seiner annimmt...

 

Seit Ende April laufen die Dreharbeiten in der Dreiländereck-Stadt. Eine der letzten noch unsanierten Ecken Zittaus, ein stark verfallener Straßenzug im Zentrum, dient als Kulisse für das Wien im Jahre 1910. Was den Stadtsanierern seit Jahren größtes Kopfzerbrechen bereitet, betrachtet Odermatt als „großes Geschenk“. In dieser kleinen „außenhabsburgischen Ecke“ habe das Produktionsteam genau das Flair entdeckt, das es in siebzehn Städten vorher und auch im heutigen Wien nicht gefunden hatte.

 

Dreiunddreißig straffe Drehtage sind vorgesehen am Set in Zittau, wo neben den vorhandenen Gebäuden extra noch die Filmkulisse des alten Wiener Männerwohnheims aufgebaut worden ist, in dem ein großer Teil der Geschichte spielt. Gedreht wird auch im Theater Liberec (Reichenberg), das im Film die Wiener Oper sein wird. „Wir treffen überall auf große Unterstützung und viel Verständnis“, sagt Produzent Martin Lehwald von der Schiwago Film GmbH. Nur die Schlußszene auf dem Neiße-Viadukt, die werde wohl noch ein Riesenproblem.

 

Götz George hat derweil ganz andere Probleme. Er muß sich einleben in seine Rolle, die er als „sehr ernsthaftes Projekt“ bezeichnet – und in der er ganz aufgeht. Eine Stunde dauert es jeden Tag in der Maske, ehe der 70jährige zum Juden Schlomo wird: Zerlumpt, verlottert, gebeugt – aber immer mit einem warmherzigen Blick. Da bleibt wenig Raum für anderes. Von Zittau hat George bisher nur ein paar Blicke aus dem Autofenster erhaschen können, erzählt er: „Halb fünf aufstehen, Maske, drehen, halb zehn ins Bett. Es ist sehr hart und anstrengend.“

 

Von 8.30 Uhr bis weit in den Abend hinein dauern noch bis Mitte Juni die täglichen Dreharbeiten – interessiert verfolgt von den Zittauern und viel beachtet von den Medien im In- und Ausland. „Hitler – das ist ein wichtiges Thema für uns“, sagt Fernsehjournalist Dimitri Pogorzhelski vom größten russischen Privatsender NTW. „Vor allem interessiert uns, wie die Deutschen mit diesem dunklen Kapitel ihrer Geschichte heute umgehen.“

 

Sie tun es mit scharfsinnigem Wortwitz und feinen Dialogen, mit tragikomischen Szenen und rührend-grotesken Bildern. „Ganz in George Taboris Sinne“, freut sich Wolfgang Bergmann, Leiter des ZDF-Theaterkanals. Der Sender gehört zu den zahlreichen Co-Produzenten und Förderern des außergewöhnlichen 2,7-Millionen-Euro-Filmprojekts. Voraussichtlich 2009 soll Mein Kampf in die deutschen Kinos kommen.

Jana Ulbrich

Tolle Kulisse für Götz George

Sächsische Zeitung, Dresden, 16. Mai 2008

 

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Nach Görlitz, wo im Frühjahr Szenen des Hollywoodfilms Der Vorleser gedreht wurden, ist nun eine weitere Stadt in der Oberlausitz Kulisse für einen bedeutenden Streifen: In Zittau im Dreiländereck zu Tschechien und Polen wird seit zehn Tagen der Kinofilm Mein Kampf gedreht. Der Film nach Motiven des gleichnamigen Theaterstücks von George Tabori, das auch schon am Cottbuser Staatstheater inszeniert wurde, ist hochkarätig besetzt. Götz George spielt den Juden Schlomo Herzl, Tom Schilling den jungen Hitler. Und eine Ecke Zittaus verwandelt sich bis Mitte Juni in das Wien von 1910.

 

Hitler ruht sich gerade in der Mittagssonne auf einem Liegestuhl aus. Und Christel Herrmann will zu ihm. Nicht zu Hitler, sondern zu Tom Schilling, dessen 26jährigem Mimen. Groß prangt sein Name auf einem Brief, den die 65jährige Zittauerin in der Hand hält. „Da drin ist ein Autogrammwunsch mit Rückumschlag“, sagt sie. „Ich habe Tom Schilling am Wochenende im Tatort gesehen und fand ihn gut.“

 

Und da sie von den Dreharbeiten in ihrer Heimatstadt gehört hat, schaut sie mal am Set an der Zittauer „Uhreninsel“ vorbei. „Ist doch toll, wenn so große Schauspieler mal ruhige, verschlafene Städte sehen“, meint sie und späht weiter durch das Tor auf den jungen Schauspieler. Doch rein zu ihm darf sie nicht – Produzent Michael Pokorny nimmt den Brief entgegen und murmelt etwas davon, daß es noch gar keine Autogrammkarten von Tom Schilling gebe. Denn eher werde nach Götz George gefragt. Doch von dem hat Christel Herrmann schon ein Autogramm.

 

Gleich geht auch der Dreh weiter in dem kleinen abgesperrten Viertel rund um Baderstraße, Breite Straße und Amalienstraße. Doch nicht, ehe auch Götz George einmal kurz zum Vorschein kommt. In einem zerlumpten Mantel mit abgeschabtem Hut betritt er die Szene, ein Visagist zupft noch etwas an Haaren und Bart herum. Über eine Stunde sitze er täglich in der Maske, berichtet der 69jährige Schauspieler. Das bedeute, früh halb fünf aufzustehen und abends spätestens halb zehn ins Bett zu gehen. „Der Dreh ist wirklich kein Kinderspiel, zumal es ein sehr ernsthaftes Projekt ist“, sagt Götz George. Deshalb habe er auch keine Zeit, sich ausgiebig in Zittau umzuschauen. Nur einmal sei er kurz herumgefahren und habe gesehen, wie schön die Stadt sei.

 

Dann bahnt er sich seinen Weg durch die Scheinwerfer und Drehutensilien und entschwindet in das „Männerwohnheim“, in dem der Jude Schlomo Herzl den jungen Hitler kennenlernt und durch seine gutmütige Art zum Geburtshelfer des Monsters wird.

 

Dieses Männerheim ist entgegen seiner Anmutung eine hundertprozentige Kulisse. Ein Klopftest an den Wänden bestätigt: Hier ist alles nur Deko. „Im Februar war hier noch grüne Wiese“, sagt Regisseur Urs Odermatt, ein Schweizer. Doch außer dem Wohnheim ist alles echte Bausubstanz, die das Produktionsteam von Zittau als frühes Wien überzeugte: die Film-Metzgerei gegenüber ist ein leer stehendes Haus, das Postamt nebenan ein langgestrecktes Uhrengeschäft, das etwas umgestaltet wurde, aber trotz der Dreharbeiten auf der anderen Seite des Hauses geöffnet hat.

 

Man habe sich etwa siebzehn Städte angesehen, und Zittau habe in der Silvesternacht letzten Jahres das Rennen gemacht. „ Es ist einfach perfekt als Wiener Viertel des Jahres 1910, weil es auch nichts Preußisches hat“, so Odermatt. „ Es wäre ein zu großer Aufwand gewesen, andere habsburgische Städte zurückzubauen.“ Auch Wien selbst, wo die ersten Szenen gedreht wurden, sei dafür nicht geeignet gewesen. Der einzige Nachteil der 29’000-Einwohner-Stadt Zittau sei, daß sie etwas abgelegen sei und es eine dreiviertel Stunde bis zur nächsten Autobahnauffahrt dauere, schmunzelt der Regisseur.

 

Aber ansonsten gefalle es dem etwa 50köpfigen Team der internationalen Koproduktion – unter anderem sind Schiwago Film, Berlin, Dor Film, Wien, Hugofilm, Zürich, und der ZDF-Theaterkanal beteiligt – sehr gut in der Oberlausitz. „Einige Darsteller sind sogar über Pfingsten, als drehfrei war, hier geblieben und mit verbrannten Nasen aus dem Zittauer Gebirge, aus Liberec oder vom Olbersdorfer See wiedergekommen“, so Produzent Martin Lehwald von Schiwago Film. Überhaupt habe die Stadt das Filmteam, das in Wohnungen und Hotels lebe, sehr freundlich aufgenommen.

 

„Es war sehr überraschend für mich, als die Produzenten am 2. Januar mit ihrem Anliegen in meinem Büro standen“, sagt Zittaus Oberbürgermeister Arnd Voigt. Doch nach anfänglicher Skepsis wegen des Filmtitels – Voigt kannte Taboris Stück nicht – wurde man sich schnell einig. „Denn für Zittau bedeutet das ja auch, deutschlandweit oder sogar international in den Fokus zu rücken“, so Voigt. Im Sommer soll mit Lenas Liebe sogar schon wieder ein Film in Zittau gedreht werden.

 

Und jetzt biete George Tabori mit seiner Hitler-Farce eine ganz neue und ironische Auseinandersetzung mit dem finsteren Kapitel deutscher Geschichte, meint Wolfgang Bergmann, Leiter des ZDF-Theaterkanals. Es sei nicht alltäglich, daß ein Theaterstoff für einen Film geeignet sei. Und dies sei die erste Kino-Koproduktion, die der ZDF-Theaterkanal mittrage. Überhaupt wirken viele mit an dem 2,7 Millionen-Euro-Projekt, das unter anderem von der Mitteldeutschen Medienförderung unterstützt wird.

 

Besonderes Lob bekommen die etwa vierzig Oberlausitzer Statisten. „Wir haben wirklich tolle Gesichter gefunden“, so Urs Odermatt. Einer von ihnen ist Günter Winkler (41). Der arbeitslose Zittauer wurde in einem Dönerladen am Markt entdeckt und spielt einen Bewohner des Männerheims. Für seine Rolle mußte er nicht viel verändert werden, „außer ein bisschen Dreck an den Händen und alter Kleidung“, wie er sagt. Das Drehen gehe ihm leicht von der Hand, grinst er: „Ich muß ja nicht sprechen, nur mitspielen." Auch der Intendant des Zittauer Theaters, Roland May, gehört zum Ensemble – er spielt Hitlers Vater. „Es ist interessant, mit solchen historischen Figuren umzugehen“, sagt er und überlegt, ob er Götz George vielleicht zu einer Lesung aus dessen neuem Buch am Zittauer Theater überreden kann.

 

Viel Zeit bleibt nicht an den straffen Drehtagen, die meist 8.30 Uhr beginnen und sich bis zu zwölf Stunden hinziehen. Bis zum 18. Juni ist das Filmteam noch zu Gast in Zittau. Das Theater im tschechischen Liberec soll noch als Wiener Oper dienen. Doch ein Problem gibt es derzeit im Dreiländereck: das Viadukt über der Neiße als Drehort für das Anfangs- und Schlußbild zu gewinnen. Denn die Strecke führe nach Polen, ein Stück durch Tschechien. „Schwieriger geht es wohl nicht mit den Zuständigkeiten“, schmunzeln die Produzenten. Doch auch diese Hürde wird das Team wohl meistern.

 

2009 soll Mein Kampf in die Kinos kommen. Dann wird auch Christel Herrmann nach Zittauer Ecken auf der Leinwand Ausschau halten. Sie hoffe doch stark, daß sie Kinokarten bekomme, meint sie, ehe sie den Drehort wieder verläßt.

Steffi Schubert

Götz George im wienerischen Zittau –

in der Oberlausitzer Stadt im Dreiländereck wird zurzeit der Kinofilm „Mein Kampf“ mit Starbesetzung gedreht

Lausitzer Rundschau, Cottbus, 17. Mai 2008

 

 

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Philipp Oehmke: Acht Wochen mit Hitler, Der Spiegel, Hamburg, 27/2008

Gestern begannen an der „Uhreninsel“ die Dreharbeiten zur Hitler-Satire Mein Kampf mit Götz George.

 

„Urs, möchtest du ne’ Probe sehen“, ruft die Regieassistentin ihrem Chef Urs Odermatt zu. „Nein, wir drehen gleich“, ruft der zurück und verfolgt die entstehenden Aufnahmen gleich am Monitor.

 

Odermatt führt Regie im Film Mein Kampf, in dem es um Hitlers frühe Jahre in Wien geht. Sieben Drehtage in Wien hat das Team deshalb schon hinter sich. Jetzt wird bis Mitte Juni in Zittau gedreht. Gestern fielen die ersten Klappen rund um die „Uhreninsel“.

 

Auch Hauptdarsteller Götz George war dabei. Er spielt den Juden Schlomo Herzl, den väterlichen Freund Hitlers. Zunächst ist er aber nicht zu sehen. Vor der Kulisse des Männerwohnheims, in dem Hitler wohnt, haben in der Mittagszeit indes einige Statisten Aufstellung genommen, die in ihren schwarzen Kutten und schmutzig geschminkten Gesichtern wirklich verwahrlost und arm aussehen. Es sind hauptsächlich Zittauer.

 

Auch echte Schauspieler sind natürlich in der Gruppe, die in der Szene fotografiert werden soll. Bernd Birkhahn ist dabei, der schon bei Kommissar Rex mitspielte, und Karin Neuhäuser, die Hitlers Wirtin, Frau Merschmeyer spielt. Nur Tom Schilling, der Hitler spielt, hat heute drehfrei.

 

Nachdem die Szene ein paarmal geprobt und dann mit Originalton gedreht wird – mal bei Sonne, mal als „Schattenvariante“, wird „Herr George“ über Funk gebeten, sich für die nächste Szene einzufinden.

 

Und dann kommt er. Kaum zu erkennen, so runzelig und alt ist er geschminkt. Doch seine Stimme ist unverkennbar. Das ist Götz George. Sagen muß er in dieser Szene nicht viel. Allerdings äußert er seinen Unmut über den anwesenden Pressefotografen.

 

Die Handvoll Zuschauer, die in sicherem Abstand neugierig zusehen, stören dagegen keinen. Nur ruhig sollen sie sein, denn Hintergrundgeräusche darf es nicht geben. Ein Anwohner muß den laufenden Motor seines Autos ausmachen. „In Wien war viel mehr Krach“, erzählt Jasmin Morgan. Die 28jährige ist die Setphotographin. Sie hält die Szenen und alles Drumherum fest und ist Teil eines etwa 30köpfigen Filmteams.

 

Am Montag war das Team aus Wien angereist. Am Abend hatte es im „Weberhof“ eine kleine Willkommensparty gegeben – zur Einstimmung auf die harten Arbeitstage, die nun bis zum 16. Juni anstehen. Drehorte sind dabei vor allem Baderstraße, Breite Straße, Amalienstraße und der Mandauer Berg. Auch Nachtdrehs sind geplant, unter anderem an den Zittauer Fleischbänken.

 

Die Drehorte wurden oder werden für den Film, der im Wien von 1910 spielt, umgestaltet. Dafür ist das Szenenbild-Team um Carola Gauster verantwortlich. Sie hat beispielsweise den Komplex an der Uhreninsel entworfen: Die Metzgerei von Frau Merschmeyer, deren Hof und das Männerwohnheim, das nach den Dreharbeiten wieder abgerissen wird. Auch das Haus, in dem sich der Uhrenladen „Uhreninsel“ befindet, ist in die Dreharbeiten einbezogen. Hier werden die Schauspieler geschminkt hier ist auch ein Pausenraum eingerichtet.

Daniela Pfeiffer

Götz George dreht in Zittau

Sächsische Zeitung, Dresden, 7. Mai 2008

Der Film hat mich sehr bewegt und die tollen Schauspieler sehr berührt. Bernd und Elisabeth sind bei uns noch im Ensemble, wie tröstlich. Tom Schilling ist grandios, Götz George alte Klasse, Sie haben den Stoff mit viel Liebe zum Detail und großer Empathie umgesetzt, ich danke Ihnen sehr für das das tolle Erlebnis!

 Rita Czapka

 

 

Ich war mit dem Film am Atlanta Jewish Film Festival: Tabori hätte das gefallen – vierhundert Juden schauen Mein Kampf. Ich war recht bange vor dem Q & A. Erst lange kein Wort – dann fragte eine ältere Damen („liberal, but not very liberal“), wie ich es dem Autor antun könne, daß Gretchen sekundenlang topless am Fenster zu sehen sei. Ich sagte: „Mein Kampf is based on a play. Der Autor war auch Jude. Gretchen steht im Stück eine halbe Stunde splitternackt auf der Bühne. Ick dachte, dat is’ bei Euch Juden so!“ Schweigen. Nach einer Pause, die zu lange war, sagte die ältere Dame: „Look, Europe is different. Das betrifft auch unsere jüdischen Brüder und Schwestern“.

 

Ich habe in Atlanta nicht erzählt, daß mir Tabori bei der Vorbereitung in Berlin verriet, er habe die Szene nur so geschrieben, weil er Leslie Malton nackt sehen wollte – ein Argument, wie wir es auch von Godard und Truffaut kennen.

Urs Odermatt

 

 

Hahaha, George würde das alles sehr amüsieren, er war ein Schalk, der sich immer freute, wenn ihm ein Spaß gelang. Sie haben uns mit dem Film große Freude bereitet!

Rita Czapka

 

E-Mail-Plauderei mit Rita Czapka

Dramaturgie, Burgtheater, Wien

7. April 2020

 

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Häßliche kleine Sperrholzschilder, mit Draht an Laternenpfählen befestigt, säumen die Landstraße nach Zittau. Es werden immer mehr, je näher man der Stadt kommt. Auf den Schildchen wirbt die NPD um Stimmen, „Grenzen sichern. Kriminalität stoppen“ ist da etwa zu lesen, und es sind diese Angstslogans, mit denen die Rechtsradikalen hier bei den Landratswahlen Anfang Juni 7,3 Prozent der Stimmen geholt haben.

 

Angesichts dieser Zahl fragt man sich, ob es wirklich eine gute Idee war, ausgerechnet hier, in Deutschlands äußerstem Osten, Mein Kampf zu verfilmen.

 

Mein Kampf, damit ist in diesem Fall nicht Hitlers Propagandaschrift aus dem Jahr 1925 gemeint, sondern George Taboris Theaterstück von 1987; eine Farce, die vom jungen Hitler erzählt, wie er um 1910 – bettelarm, wütend, verunsichert und mit Verdauungsstörungen – nach Wien kommt, um sich an der Kunstakademie zu bewerben. Er findet Unterschlupf in einem Männerasyl, wo er Schlomo Herzl kennenlernt, einen alten Juden, der sich seiner annimmt. Herzl tröstet den todbetrübten Hitler, als die Kunstakademie ihn ablehnt, stutzt ihm seinen buschigen Schnauzbart auf eine Bürste zurecht und empfiehlt ihm, in die Politik zu gehen. Der Jude seinerseits sitzt gerade verzweifelt an der Fertigstellung seiner Memoiren, die er Mein Kampf nennen will.

 

Ein Kampf war bisher auch das Leben von Frank Pischel. Der Zittauer ist einer der lokalen Komparsen am Set, an diesem Montag hat er seinen letzten Drehtag. Zu DDR-Zeiten arbeitete Frank Pischel bei der Reichsbahn, jedenfalls bis ihn 1980 ein Gehirntumor fast umgebracht hat. Immer wieder haben sie ihn operiert, vierundzwanzig Operationsstunden insgesamt. Sein Gesicht ist seitdem schief, er konnte danach nur noch als Kartenabreißer im Filmpalast arbeiten, und inzwischen ist er in unübersichtliche Rechtsstreitigkeiten um seine Hartz-IV-Bezüge verstrickt.

 

Er fühlt sich vom Staat verlassen. Er hat jetzt auch NPD gewählt. Pischel, 64, ist einer von den 7,3 Prozent.

 

Die Kreisstadt Zittau, knapp 30’000 Einwohner, liegt am südöstlichen Zipfel der Oberlausitz. Zur Neiße, der Grenze zu Polen, sind es nur ein paar Kilometer, auch die Tschechei ist nicht weit. Nach Dresden aber, zur nächstgrößeren Stadt, dauert es fast zwei Stunden. Die Menschen hier sind ein bißchen aus der Welt geschlagen.

 

Aber dann kam im Frühjahr diese gigantische Filmcrew in Zittau eingerauscht, Lastwagen, Krane, vierzig bis fünfzig Berliner, Wiener und Zürcher, die hektisch waren, effizient und schnell, die Straßen absperrten und Häuserruinen mit Beschlag belegten. Menschen, wie man sie noch nie gesehen hatte in Zittau, und dazwischen plötzlich Götz George, der Überschauspieler, der sich in einer Citroën-Limousine durch die schmalen Gassen der Altstadt chauffieren ließ und manchmal vom Beifahrersitz aus müde winkte. George spielte Schlomo Herzl, Tom Schilling spielte Hitler.

 

Eine Casterin sprach Frank Pischel auf dem Weg zum Supermarkt an, ob er eine Komparsenrolle übernehmen wolle als Mitbewohner Hitlers im Mannerwohnheim. Pischel wurde dadurch ein kleiner Star in Zittau; sein Bild war in der Zeitung, und beim Bäcker bekommt er „die Schrippen umsonst“, wie er sagt. Pischel war eine Idealbesetzung. In Taboris Stück sind die Männer in dem Wohnheim vom Leben geschlagen, gezeichnet und entstellt. „Auch ich werde nicht vergessen, was ich durchgemacht habe“, sagt Pischel.

 

Leider ist in ein paar Tagen der achtwöchige Ausnahmezustand schon wieder vorbei, dann packt die Crew zusammen. „Es ist wirklich schade“, sagt Pischel. „Der Film hat meinem Leben mehr Sinn geben.“

 

Daß der Film überhaupt nach Zittau kam, hat einerseits mit dem üblichen Poker um Fördergelder zu tun, da hat die Mitteldeutsche Medienförderung am meisten geboten. Es hat aber auch damit zu tun, daß im 16. und 17. Jahrhundert in Zittau die Habsburger regiert haben, daß hier im 19. Jahrhundert viel neoklassizistisch gebaut wurde (mit einem Rathaus und einer Kirche nach Plänen von Schinkel) und daß viele leerstehende Häuser so herrlich heruntergekommen sind, wie man sie sich auch in den Armenvierteln Wiens um 1910 vorstellen könnte.

 

An einem der letzten Tage des Ausnahmezustands ist Frank Pischel noch einmal ans Set im Stadtzentrum gekommen. Und da sieht er ein letztes Mal den Hitler stehen, Tom Schilling, der sich auf gespenstische fünfzig Kilogramm heruntergehungert hat, weil sein Hitler ausgemergelt und kaputt wirken soll.

 

Schilling, der mit seiner Hauptrolle in Crazy vor acht Jahren zu einem Jungstar des deutschen Kinos wurde, sieht erschöpft aus, und das macht nicht nur die Rolle. „Es war eine gute, harte Auseinandersetzung mit Götz George“, sagt er. „Jeder wollte seine Figur verteidigen. Er den gewitzten Schlomo, ich den armen Hitler.“

 

Kann man, darf man Hitler verteidigen?

 

Natürlich, findet Schilling, er ist ja eine Filmfigur, die interessant ist, widerlich auch, die sich entwickelt und schrittweise zum Monster wird.

 

Schnell hatte es sich in Zittau herumgesprochen, daß Schilling den Hitler spielt, und manchmal, abends in den Kneipen, sagt Schilling, da habe er „Sieg-Heil“-Rufe gehört. Aber eigentlich will er das gar nicht erzählen. Er möchte diese Stadt nicht in Mißkredit bringen. Er sagt: „Ich hoffe, daß sie die alten, verfallenen Häuser nicht abreißen. Es könnte hier eine richtige Filmstadt entstehen.“

 

Auf dem Weg wieder hinaus aus der Stadt, auf der Landstraße Richtung Bautzen, hängen an den Laternenpfählen immer noch die Sperrholzschilder der NPD. Sie sind übrig geblieben. Der Wahlkampf ist vorbei. Und einen Wähler hat die Partei möglicherweise schon wieder verloren: Frank Pischel, der jetzt beim Bäcker seine Schrippen umsonst bekommt.

Philipp Oehmke

Acht Wochen mit Hitler – Nahaufnahme: Wie die Dreharbeiten zu George Taboris „Mein Kampf“

das sächsische Zittau in Unruhe versetzten

Der Spiegel, Hamburg, 27/2008

 

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Daß Tom Schilling als junger, halb irrer Hitler eine so komische wie beängstigende Glanzleistung hinlegen würde, konnte wohl nicht mal sein Regisseur erahnen.

Christian Meyer-Pröpstl

Choices, Köln

 

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...ich habe am Wochenende Mein Kampf in der mir zur Verfügung gestellten vorläufigen Fassung auf DVD gesehen und möchte Ihnen doch sagen, daß mich der Film sehr beeindruckt hat. Es ist Ihnen eine atmosphärisch dichte Erzählweise gelungen, die die Taborische Pointiertheit im Dialog in einen stärker erzählerischen Ton auflöst, und der Geschichte dabei neue Töne entlockt.

 

Frau Dr. Sommer, die meine Auffassung teilt, hat in der Zwischenzeit auch mit Ursula Höpfner-Tabori, der Witwe von George, gesprochen, die sich auch besonders positiv nach Anschauen des Filmes geäußert hat. Der junge virtuose Tom Schilling und der kluge und in jedem Ton anrührende Götz George haben uns in jeder Hinsicht überzeugt. Gerade George in dieser Rolle war eine wunderbare Überraschung – sensibel, filigran und mit hintersinnigem Humor. Wenn er Gretchen auf dem Bett die Geschichte seines Vaters erzählt, kann es einem das Herz zerreißen.

 

Die kleinen Zeichen, die der Film setzt und auf Zukünftiges verweisen, sind raffiniert und nachhaltig. Vom Begrüßungsgeld bis zu den rauchenden Schloten über Wien und dem Zeitsprung am Ende, bietet der Film Situationen und Bilder, die man so schnell nicht vergißt.

Bernd Schmidt

Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin