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Was für ein Miststück. Wer sich mit Abigail Williams anlegt, nimmt sich besser in Acht. Der Teenager schreckt vor wenig zurück und hinterläßt nach und nach Tote gleich im Dutzend: aus verletzter Liebe, aus Rachsucht und dann aus Angst. Dabei beginnt bei Arthur Millers Hexenjagd alles einigermaßen harmlos. Getanzt haben Abigail (Felicitas Breest) und ihre Freundinnen im Wald. Dumm nur, daß sie dabei von Reverend Parris (Markus Schmid) überrascht wurden und daß dessen Tochter Betty (Simone Rohner) seither als vom Teufel besessen gilt.

 

Überhaupt kommt der Teufel einigen Bewohnern des puritanischen Fleckens Salem gerade recht. Parris kann dank seiner auf den Verbleib in Amt und Würden hoffen; anderen Einwohnern paßt die angebliche Präsenz des Gehörnten, um alte Rechnungen zu begleichen. Und Abigail? Die kann dank falscher Anschuldigungen darauf hoffen, ihre Nebenbuhlerin Elizabeth Proctor (Ursina Hartmann) aus dem Weg zu räumen. Ruhig bleibt beim ganzen Hexenwahn nur John Proctor (Pascal Ulli), Abigails verheirateter Ex-Liebhaber, der seine ehrliche Standhaftigkeit am Ende mit dem Leben bezahlt.

 

Miller verfaßte Hexenjagd im Jahr 1952 als Parabel auf die damals in den USA herrschende Kommunistenhatz. Angesiedelt ist das Stück Ende des 17. Jahrhunderts, und es basiert auf einer wahren Begebenheit. Im Jahr 1692 wurden in Salem im US-Bundesstaat Massachusetts neunzehn Männer und Frauen unter dem Vorwurf der Hexerei hingerichtet, wobei die so genannte Beweislage gelinde gesagt dürftig war.

 

Miller zeichnet in Hexenjagd, das zu seinen bekanntesten Stücken gehört, das Bild einer Gesellschaft, der es weniger um Wahrheit geht als um Konformismus. Abweichler werden als besessen gebrandmarkt, und der Aberglaube steht deutlich über dem Willen zur Aufklärung. Subtil verdeutlicht der Autor jenen schleichenden Prozeß, in dem aus Bruchstücken von Verleumdung und Vermutungen ein Netz gestrickt wird, in dem sich immer mehr Bürger des Orts verfangen – es wird ihnen letztlich zur tödlichen Falle.

 

Mit Hexenjagd hat sich der Verein Frech für ein ambitiöses Projekt entschieden, und für das diesjährige Churer Freilichtspiel haben die Verantwortlichen einen bekannten Regisseur gewinnen können. Inszeniert hat das Stück Urs Odermatt, der sich sowohl am Theater wie auch auf Bildschirm und Leinwand einen guten Namen gemacht hat. Davon zeugte vergangene Woche unter anderem eine Filmnacht mit ausgewählten Werken des Regisseurs in der Churer „Werkstatt“.

 

Was Odermatt und sein erstklassig besetztes Ensemble bei der Première vom Dienstag ablieferten, war weniger eine worttreue Wiedergabe von Millers Hexenjagd, sondern vielmehr seinerseits eine Art Parabel auf die Parabel. Odermatt hatte schon früh klar gemacht, daß mit einer historisierenden Aufführung nicht zu rechnen war; und tatsächlich legt der unter anderem bei Krzysztof Kieślowski ausgebildete Schweizer eine im besten Sinne durch und durch zeitgemäße Arbeit vor.

 

Diese beginnt für das Publikum einigermaßen verwirrlich bereits beim Einlaß auf den stimmigen Hegisplatz mit einer Art Einblick in die Probenarbeit. Zunächst wirkt das Geschehen auf der Bühne ziemlich konzeptlos, bis sich aus dem scheinbaren Chaos erste Erzählstränge herausschälen und die Inszenierung das Publikum mehr und mehr gefangen nimmt – Odermatts Arbeitsweise gleicht darin durchaus den Entwicklungen im hexenwahngeplagten Salem; auch der Regisseur und sein Team spinnen Fäden zu einem immer fester werdenden Netz.

 

Hexenjagd wird in dieser Aufführung zu einem Gesamtkunstwerk, zu dem unter anderem die spektakulär-eindrückliche Bühne (Dirk Seesemann) und die zwischen Mozarts Requiem, Wagners Walküre, Hollywoodkitsch und Ozzy Osbourne pendelnde Musik (David Sontòn-Caflisch) eher gehören als beitragen. Odermatt setzt in seiner Regiearbeit unter anderem auf Brüche im an sich zügigen Spiel: Immer wieder verlassen die Schauspieler ihre Rollen oder wechseln diese, regelmäßig springt die Inszenierung vom 17. Jahrhundert in die Gegenwart und zurück.

 

Die Brüche nutzt Odermatt, um allerhand Witziges und Aberwitziges in seinem Stück unterzubringen, darunter Texte, die da nicht hingehören, wie etwa einen Auszug aus Martin Suters Roman Ein perfekter Freund. Ein Flitzer, der über die Bühne rennt, der Auftritt eines Heavy-Metal-Gitarristen (Alexander Müller), von Magnus Sparrholm in Schwedisch und im Sportreporter-Stil kommentierte Erotikszenen und weitere krude Einlagen sorgen nicht nur für Spektakel und Kurzweil, sondern auch für Humor, der auf verschiedensten Ebenen funktioniert.

 

Möglich macht das Gelingen dieses Konzept, das in über zwei Stunden Spielzeit nur wenige Längen hat, die hervorragende Arbeit aller Mitwirkenden. Odermatt ist es ganz offensichtlich gelungen, aus Laien und Profis ein Ensemble zu formen, das bis in die kleinste Nebenrolle perfekt spielt. Breest und Ulli erbringen eine Parforceleistung, Krättli ist in seiner Doppelrolle als schwarze Sklavin Tituba und als Richter Danfoth mal urkomisch, mal senil-überheblich. Und Nikolaus Schmid als Ezekiel Cheever hat für das Publikum einige Überraschungen bereit; nicht nur diesen Überraschungen wegen lohnt sich der Besuch auf dem Hegisplatz.

Olivier Berger

1692 ist 1952 ist 2004 ist immer – gelungene Première von „Hexenjagd“ bei den Churer Freilichtspielen

Die Südostschweiz, Chur, 19.August 2004

(...) Für ein Gastspiel bei den Freilichtspielen sprach für den 48jährigen einiges, darunter auch ein privater Grund: Seine Tochter ist in der Inszenierung von Arthur Millers Hexenjagd auch mit von der Partie – gleich übrigens wie die Tochter von Krättlis Schauspielerkollegin Ursina Hartmann. Die Zusammenarbeit von Laien und Profis, wie sie die Chur er Freilichtspiele seit jeher betreiben und fördern, ist für Krättli nach eigenem Bekunden kein Neuland. Den Churer Laien stellt er allerdings ein besonders gutes Zeugnis aus; es sei erstaunlich, wie hoch das Niveau sei.

 

Nur Lob hat Krättli auch für Urs Odermatt übrig, den Regisseur von Hexenjagd. Dieser lege die Latte für alle Beteiligten enorm hoch; das Ensemble werde von ihm fast ständig überfordert. Überforderung will Krättli in diesem Zusammenhang aber durchaus positiv verstanden wissen. Durch die hohen Anforderungen würden nämlich große Energien frei, welche dem Stück zugute kämen. Dem Stück übrigens, das Krättli als brandaktuell bezeichnet, auch wenn es in der Mitte des letzten Jahrhunderts geschrieben und im 17. Jahrhundert angesiedelt wurde.

 

Krättli selber wird in Millers Hexenjagd in einer Doppelrolle zu erleben sein. Im ersten Akt spielt er eine dunkelhäutige Sklavin im letzten Akt einen Richter. Für letztere Rolle sei er auch unter Vertrag genommen worden, erzählt er. Erst als er – eine Woche nach seinen Kollegen – die Probenarbeit aufgenommen habe, habe er erfahren, daß er daneben noch als Sklavin eingeplant sei. Und daß es Odermatt damit ernst sei, habe er erst etwa eine halbe Stunde später realisiert.

 

Rund eine Woche vor der Première ist Krättli gespannt, wie das Stück beim Churer Publikum ankommen wird. Immerhin handle es sich um eine zeitgemäße Inszenierung mit Brüchen und einer modernen Sprache. Ein Heimattheater oder Historienspiel wolle man dem Publikum damit nicht bieten, so schön die entsprechenden Produktionen auch seien.

 

Für Hexenjagd und seine Doppelrolle hat Krättli heuer sogar seine Ferien geopfert. Seit dem Jahr 2000 steht der Schauspieler nämlich beim Zürcher Theater an der Sihl unter Vertrag; im ersten festen Engagement seiner seit 1980 dauernden Karriere, wie er betont. Das Theater an der Sihl ist seinerseits eng mit der Hochschule für Musik und Theater in Zürich verwoben; die Absolventen der dritten und vierten Jahrgänge der Schule sind jeweils Teil des Ensembles und machen auf diese Weise ein zweijähriges Praktikum.

 

Neben seiner Arbeit auf der Bühne ist Krättli auch an der Schule tätig, wie er verrät. Er dürfe sich sogar Dozent nennen, wenn er auch nicht im geregelten Schulbetrieb zum Einsatz komme. Stattdessen bereitet er abgehende Diplomanden auf ihren Abschluß und die Zeit nach der Schule vor. Dazu gehöre, daß er ihnen Tips für die Praxis und die Zeit nach der Schauspielschule gebe, damit die Ausbildung nicht allzu abstrakt und fern vom schauspielerischen Alltag bleibe. (...)

Olivier Berger

Ferienjob bei den Freilichtspielen Chur

Die Südostschweiz, Chur, 10. August 2004

Hexenjagd von Arthur Miller