Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Theater Stück Dramaturgie Inszenierung Presse Photos

Die Inszenierung von Hautnah zitiert in einer von modernen Medien und Internet-Chatting beherrschten Welt einen Ausschnitt aus dem Film Tuvalu von Veit Helmer. In einer berückend stillen Sequenz wird eine Frau gezeigt, die in einem Swimmingpool schwimmt und einen Goldfisch im runden Aquariumsglas mit ins Becken nimmt. Sie läßt den Fisch aus seinem Behälter in die größere Freiheit des Pools, aber der Fisch schwimmt weiter seine Runden, als sei er immer noch gefangen – und geschützt – in seinem Glas. Die Frau spielt mit dem Fisch im Wasser, lenkt ihn ab von seiner Bahn, er kehrt aber immer wieder zurück in seiner Kreisbewegung, konditioniert auf die Größe des Goldfischglases. Die Gefangenschaft findet im Kopf statt. Das Symbol für die scheinbar freien Swinging-Singles ist frappierend. Den Anforderungen der Freiheit, die sie sich selbst definieren, sind die Menschen nicht gewachsen, sie kehren wie unter einem geheimen Zwang zurück zu den vorgezeichneten Bahnen, ihrem transparenten Aquarium. Im Kopf findet immer noch das alte Spiel der Besitzgier und eifersüchtigen Einschränkung statt. Auf die Menschen bezogen ist das kein schönes, friedliches Bild wie das des badenden Goldfisches, die Wahrheit zeigt eine entsetzliche Grimasse. Sag mir die Wahrheit, wird gefordert, dringlich, drohend und im Namen der ehrlichen Verbundenheit, im Namen der Liebe. Wird aber die Wahrheit ausgesprochen, kann sie nicht ertragen werden und wird gerächt an dem, der sich offenbart. Die Liebe gerinnt zum Haß. Alice, die wirklichkeitsflüchtige Herumtreiberin, ist natürlich – wir sind mit Patrick Marber in England und der englischen Literatur – auch Alice im Wunderland. Aber Wunderland ist abgebrannt, niemals mehr wird es einen Weg hinter dem weißen Kaninchen hinab ins Herz aller Geheimnisse geben. Die behauptenden Dialoge der Paare sind so absurd wie die Reden des Hutmachers und des Märzhasen auf der verrückten Teeparty. Alice, auf der Suche nach Identität, Verstehen und Verständnis, nach Geborgenheit, wird hier und jetzt genarrt von einer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft, deren exemplarische Vertreter als egoistische, infantile, narzistisch gestörte Wesen herumirren, mit sich und der Welt zutiefst uneins, unfähig zu der Liebe, die sie alle so verzweifelt sehnsüchtig suchen als Erlösung von der Einsamkeit. Aber die Sehnsucht ist zur schieren Sucht verkommen, und das Vokabular der Liebe buchstabiert sich nur noch aus Sexualität, die selbst technisch-mechanisch geworden sein scheint, anstatt der Ausdruck der Leidenschaft zu sein. Einzig Alice, die Streunerin, ist in der Liebe aufrichtig, sie geht beim Erlöschen des Gefühls sofort aus der Beziehung weg. Ungebunden bindet sie sich aus der Entscheidung ihres Herzens, um im entsprechenden Moment diese Bindung rücksichtslos kappen zu können. Sie hat Angst vor der Wirklichkeit, stellt sich aber ihrer Freiheit. Sie liebt und vermag loszulassen. Sie erfindet ihre Biographie stets von neuem, eine Lügnerin oder mindestens eine Phantastin mag man sie nennen, und doch ist sie der aufrichtigste Mensch. Am Ende ist Alice tot. Ihre Reinheit konnte nicht überleben in dieser Welt. Literarisch ist sie eines der zahlreichen „Damenopfer“, denn schon Edgar Allen Poe meinte, nichts auf der Welt sei poetischer als eine junge, schöne Frau, wenn sie tot ist. In der Literatur der Jahrhunderte diente der Tod der jungen, schönen Frau meist der geistig-seelischen Läuterung eines Mannes. Marber verweigert, realistisch in unserer Zeit, auch diesen Trost. Niemand wird geläutert durch Alices Tod. In der Vierer-Struktur der Paare entspricht und folgt Hautnah einem Vorbild aus der klassichen Romanliteratur, Goethes Wahlverwandschaften. Die Vollendung der Aufklärung probte den Gedanken der offenen Partnerschaft und mußte ihm eine Absage erteilen. Am Ende der Aufklärung ist nichts gewonnen, die Sprache der Zuneigung und des Verständnisses ist verkommen zum Sex-Jargon. Wie der Goldfisch drehen sich die Menschen um sich selbst, auf der Suche nach sich und dem anderen, aber die Kreisbewegungen ist sinnlos. Patrick Marber hat aus den Personen einer vollkommenen amoralischen Welt ein sehr moralisches Szenarium entworfen.

Georgia Eilert

Aquarium

Programmheft „Hautnah“, Oldenburgisches Staatstheater, Oldenburg 2000

Die meisten Liebesgeschichten erzählen vom Anfang einer Beziehung, von ihrer Mitte und dem Ende der Liebe. Mir erscheint der Mittelteil stets als der langweiligste. Bei Hautnah wollte ich hart von Anfang zum Ende einer Liebe schneiden und darauf vertrauen, daß sich das Publikum den Mittelteil selbst vorstellt.

Patrick Marber

 

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Als Theatermensch versucht Patrick Marber vergessen zu machen, daß seine Aufführung auf das geschriebene Wort eines Autors zurückgeht. In einem nie beendeten Arbeitsprozeß nimmt er seinem Text weg, was dem Publikum erklären könnte, wie es das Stück und seine Figuren zu verstehen hat. Damit will er erreichen, daß die Zuschauer sich nach der Vorstellung über die Personen des Stücks unterhalten und nicht über die Haltung des Autors zu ihnen. Marbers knapper Dialog, der jedes Füllsel ausspart, wird dadurch noch nackter und härter, ohne jedoch aggressiv zu sein oder Sprachlosigkeit annoncieren zu wollen. Denn Marber ist nicht unter jene radikalen britischen Jungdramatiker einzureihen, die sich unverhofft bestaunt sehen von deutschen Theaterleuten, denen nicht klar war, daß Bühnentexte auch von lebenden Zeitgenossen verfaßt werden können. (...)

 

Marbers Hautnah ist ein Diagramm der Empfindungsirritationen und Beziehungspraktiken seiner Generation, virtuos mit den bühnenwirksamen Mitteln der Komödie erstellt. Aber die Komik der aus Alltagsbanalitäten bezogenen Fabel ist rührend, weil sie Tragik hat. Das eigene, subjektive Werturteil wird als genauso wenig verläßlich erfahren wie irgendein gesellschaftlicher Kodex, an dessen Stelle es getreten ist. Hautnah bekommen die vier Personen ihre Fremdheit in der eigenen Lebensgeschichte zu spüren, die der Autor in hautnah sitzenden Dialogen entwickelt, deren Kompromißlosigkeit unter die Haut geht.

Helmar Harald Fischer

Übersetzer

Hautnah von Patrick Marber