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Wie viel Lokalpatriotismus und Unabhängigkeit verträgt ein kleines Land? Hat es eine Daseinsberechtigung in der globalen Welt? Alfred Gulden, heimatvernarrtester und zugleich -distanziertester Dichter des Saarlandes, hat sich in einer Auftragsarbeit für das Saarländische Staatstheater diese Fragen vorgenommen. Und hat eine Groteske geschrieben.

 

Im bischöflichen Konvikt in Prüm spielte er im Schultheater den Teufel oder den Judas. Und hat dort, 1962, als 18jähriger Regisseur, Günter Grass aufgeführt (Zehn Minuten bis Buffalo). Kurz drauf studierte der aus Saarlouis stammende Alfred Gulden in München Theaterwissenschaften, wurde später Filmemacher, Lieder-Dichter, Prosaauator, Performance-Künstler. Nur eines vorrangig nicht: Dramatiker. Dieses. Kleine. Land. (2004/2005) ist sein fünftes Stück in rund dreißig Jahren schriftstellerischer Arbeit. „Der Schauspieler als eingeübter Körpervorsteller ist mir ganz fremd geworden,“ – Äußerungen wie diese bezeugen Guldens Distanz zum herkömmlichen (Staats-)Theater. Selbst seine eigene durchaus vitale Theaterpraxis stellt kaum Anderes dar als die Verweigerung üblicher theatralischer Dienstleistung. Ab 1965 arbeitete er in München als Regisseur, Dramaturg und Schauspieler im formen- und konventionensprengenden „Aktionsraum“-Theater. Und auch sein späteres Zusammenwirken mit Hermann Nitsch, bekannt für bluttriefende Orgien-Mysterien-Spiele, ist ein Gegenentwurf zur „Als ob“-Behauptung herkömmlichen Theaters.

 

Trotzdem nahm Gulden – „da eewisch Widdaschspruch“ – 2003 eine Auftragsarbeit des Saarländischen Staatstheaters an. Obwohl ihn lange Jahre „der Ekel vor der Lüge auf der Bühne“ statt ins Theater auf den Fußballplatz trieb. Der Sinneswandel erklärt sich dennoch recht simpel. Nach jahrzehntelangem Schürfen im Virtuellem, sprich im Film-Genre, spürte Gulden ein „elementares Bedürfnis nach Körperlichkeit“. Das traf sich gut. Und da in Guldens Kopf immer genug Geschichten lauern rund ums Lebensthema Identität und Heimat, fanden sie schnell Verknüpfung mit aktuellen Themen und Ereignissen, dem 2005 bevorstehenden Jubiläum zu fünfzig Jahren Saarabstimmung etwa, mit der Zwergen-Werbeaktion einer Saar-Brauerei, aber auch mit dem Bosnien- und Tschetschenien-Krieg. „Dieses. Kleine. Land“ könnte nämlich überall sein, wo die Furcht vor Verlust der Eigenständigkeit für nationalistische Ziele mißbraucht wird. Gegen eine Verengung auf Saar-Verhältnisse mußte sich einer stemmen, der im für Imagezwecke hochgezwirbelten Saarvoir Vivre das „Mäntelchen, nicht die Haut erkennt. Und dessen heute noch rhythmisch praktizierter Wohnortwechsel zwischen München und Wallerfangen ganz konkret für Anziehung und Abstoßung durch Welt und Winkel steht. „Ich bin kein Lokalpatriot“, sagt Gulden denn auch. Stammeszugehörigkeit per Geburt muß einem „Ohne-mich“-Charakter wie ihm ein Graus sein. Identität sei nicht vererbbar, meint er, sondern müsse man sich durch Geschichts-Bewußtsein und -Reflektion verdienen. „Mir san mir. Wir sind Saarländer“ genüge denn auch als Begründung für ein selbstständiges Bundesland nicht.

 

Was aber dann? Guldens Stück gibt als Groteske keine Antwort, sondern Denkanstöße. Stilistisch überraschend brav liest sich das, klassische Rollenprosa. Allerdings: Plot und Figuren-Arsenal könnten einem James-Bond-Streifen entnommen sein. Der „Chef“ der Unabhängigkeits-Zentrale beispielsweise ist ein „Totalkrüppel“ ohne Hände und Beine im High-Tech-Rollstuhl. Geballte Energie, geballte Macht, „eine Reduktion auf Kopf und Schwanz“ (Gulden). Wie bringt man so einen – rein körperlich – auf die Bühne? „In der Verformung wird vieles erschreckend klar. Damit kann man Aufmerksamkeit erzwingen wie mit einem Ausrufezeichen“, meint Gulden. Ihm ist wichtig, daß sein Stück nicht als Thriller oder als Provinzposse daherkommt. „Sinnliche Theaterbilder“ wünscht er sich. Ansonsten könne man ja eine Podiumsdiskussion veranstalten. Und, bitteschön, so tief könne er doch wohl nicht sinken, daß man ihm ein Stück zutraue mit dem Tenor: Wie werden wir nicht zu Rheinland-Pfälzern. Aus Hochachtung vor dem Autor entfällt deshalb auch die Frage: Sind Sie nun für oder gegen ein selbstständiges Saarland, Herr Gulden?

Cathrin Elss-Seringhaus

Unabhängig, oder nicht

Saarbrücker Zeitung,  20. Oktober 2005

Die Sehnsucht ist uns Menschen wahrscheinlich das Menschlichste, weil wir das nicht festgestellte Tier oder das Mängelwesen schlechthin oder das Wesen, das erst werden muß, sind. Dieser Anlage zum Offenen entspricht das Spiel, das nicht mit dem Tod endet, sondern stets wieder von vorn beginnen kann. Beim Spielen; wollen wir auch Erfahrungen machen und Erkenntnisse gewinnen, um einen Antrieb nach vorn zu bekommen. Und so tragen wir unsere Sehnsüchte auch immer wieder dorthin, wo auf Brettern gespielt wird – und werden beglückt oder enttäuscht. Bei Alfred Gulden Stück: Dieses. Kleine. Land., das in diesem Monat zum 17. und letzten Mal in der Alten Feuerwache gespielt wird, gab es beides, Bravos und Buhs, auch viel Verstörung, die man nachvollziehen kann, wenn man bedenkt, daß wir Spiele auch sehr stark kognitiv wahrnehmen und sehr gern auch als Sinnvolles oder gar -ganzes auffassen wollen. Ungewöhnlich an diesem grotesken Schauspiel in der Inszenierung von Urs Odermatt sind daher das konsequent musikalisch-chorische Inszenierungsprinzip sowie der Happeningcharakter der Vorgänge auf der Bühne ohne vierte Wand. Beides ist vom Stück her motiviert – von der Musikalität, der Sprache der Vorlage und durch eine Gruppe von Aktivisten im Zentrum der Handlung, in deren Tun Sinnfragen vollständig zu Machtangelegenheiten pervertiert sind. Die Groteske versucht hier, an das Gewaltsame und Zwanghafte im Politischen heranzukommen  und es durch scharfe Überspitzung manifest werden zu lassen, es erlebbar zu machen. Rhythmisierte Stimmen und Körperlichkeit sind Mittel in der Aktionskunst, auch mit dem zu konfrontieren, was man auf der Oberfläche des politischen Theaters draußen oder in den Medien nicht sieht und vielleicht auch nicht sehen will. Die Inszenierung hat in ihren stärksten Momenten dadurch etwas Unverdauliches, das man nicht zurückübersetzen kann in die Sprache des politischen Diskurses, das vielleicht nicht einmal semantisierbar ist und einen Moment des Schreckens hervorruft – einen Abgrund aufreißt. Aber während die Aktionisten im Stück in diesem verschwinden, gehen wir am Ende ja wieder nach Hause, und ein neues Spiel kann beginnen.

Michael Birkner

Am Rande, „Theaterzeit“

Saarländisches Staatstheater

Saarbrücken, Januar 2006

Dieses. Kleine. Land. von Alfred Gulden