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Der Regisseur Jean Krieg überfährt nach einer Filmpremière im Alkohol-, Drogen- und Temporausch eine junge Radfahrerin. Er hört am nächsten Tag, daß sie die amtierende Miß Schweiz war.

 

Bei der Beerdigung lernt er die zweitplazierte Irina kennen. Presse und Netz geben das neue Paar zum Abschuß frei.

 

Die Fallstudie mit geschickt montierten Selfies der von den Medien und von Dämonen der Vergangenheit gehetzten Irina wird endlich Jean Kriegs erster großer Kinoerfolg.

 

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Ein halbes Leben ist er dem Erfolg hinterhergerannt. Mit seinem neuen Film, dem Rennfahrerdrama Targa Florio, verspricht sich Regisseur Jean Krieg den ersehnten Durchbruch. Die Première ist vielversprechend. Das Premièrenpublikum recht wohlwollend. Targa Florio reicht für ein bißchen gute Laune. Jean Krieg feiert den Zuspruch größer als er ist

 

Auf der spätnächtlichen Heimfahrt nach der Première überfährt Jean Krieg eine Radfahrerin: Alkohol, Kokain, Erfolgsrausch. Selbstüberschätzung. Die junge Frau stirbt in seinen Händen. Die Party ist zu Ende.

 

Am nächsten Morgen wird Jean Krieg klar, daß er die neugewählte Miß Schweiz totgefahren hat. Marek, ihr Agent und Manager, überlegt, wie sich der Tod der so früh aus dem Leben Gerissenen vermarkten läßt, rechnet Jean Krieg die Summe der Schadensersatzklage vor und ist selbstverständlich auch traurig.

 

An der Beerdigung trifft Jean Krieg Irina, die als zweitplazierte der Mißwahl den Titel übernehmen wird. Irina und Jean Krieg können nichts dafür, daß der Zufall sich den Tag auf dem Friedhof für den ersten Blick ausgesucht hat.

 

Öffentlichkeit und Gesellschaftspresse lehnen die Liebe der beiden als pietätlos und berechnend ab. „Tanz auf dem Grab“, schreit die „stärkste“ Zeitung der Schweiz. Jean Krieg ist Anfechtung in kräftigen Dosen gewohnt und stürzt sich in neue Regiepläne. Mit wenig Erfolg. Aber sein Name steht täglich in der Zeitung. Das ist nicht nichts.

 

Irina, die Ersatz-Miß-Schweiz, zerbricht an der Hetze der Medien und an der Finsternis der Erinnerung an die Jugend in einer Freikirche. Sie verfällt der Hölle von Suff, Drogen und Tabletten. Als die Auftritte an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten sind, lassen Jean Krieg und Manager Marek die Schönheitskönigin wie eine heiße Kartoffel fallen.

 

Ganz unten ist meist das Ende und manchmal ein Anfang. Irina nimmt an einem schlechten Tag eine gute Kamera mit – die meisten Pakete auf dem Stapel der Sponsorengaben sind ungeöffnet –, stellt sie in eine heruntergekommene Fabrikhalle und beginnt zu erzählen. Allein. Verzweifelt. Zerstört. Über den Preis von Schönheit und Vergänglichkeit. Erfolg und Absturz. Über die Vergänglichkeit von Liebe und Freundschaft. Falsche Freunde und richtige Komplizen.

 

Irina schickt ihren Marathonselfie an Jean Krieg. Sie weiß sonst niemanden. Verstoßene haben keine Freunde. Jean Krieg wird sich die Zeit nehmen, das Material durchzusehen. Aus beruflichem Interesse. Und der alten Zeiten willen.

 

Jean Krieg erkennt sofort, was für ein Juwel er in der Hand hält. Er montiert das digitale Filmmaterial mit dem Handwerk alter Schule, gewinnt Marek als Produzenten und bringt den Film ins Kino.

 

Das Publikum ist verstört und verzaubert von der bitteren Ehrlichkeit der Heldin. Wirklichkeit und Fiktion balzen an der Leinwand. Die entwaffnende, die entblößende Authentizität der wahren Geschichte zieht das Publikum in den Bann. Der gestohlene Film Irina wird der erste große Erfolg für den Regisseur Jean Krieg.

 

Irina verpaßt den langen Applaus. Sie will ihren Absturz dem Premièrenpublikum nicht live zumuten, hat sich auf die menschenleere Staumauer einer Talsperre geflüchtet und versucht, online etwas von der Begeisterung im Kinosaal zu hören. Doch das Tosen des Wildwassers ist zu laut, und Swisscom hat wieder einmal kein Netz. Sie wirft das Smartphone über die Staumauer in die Sturzflut.

Urs Odermatt

 

Jean Krieg

Altersgeil? Das kann nicht Ihr Ernst sein. So etwas Blödes habe ich lange nicht gehört. Wann soll altersgeil beginnen? Mit fünfzig? Mit vierzig? Oder mit dreißig, wo zu meiner Zeit schon alles zu Ende war? Dann können Sie nur noch ein paar Wochen vögeln, Süße.

 

Radiojournalistin

Herr Krieg, die Sendung...

 

Jean Krieg

Wem wollen Sie das Ficken noch verbieten? Den Dicken? Den Dummen? Den Behaarten? Den käsigen Provinzlern ohne Migrationshintergrund? Sex, nur für Sportler, jung, reich und fröhlich? Wie geht das zusammen mit Nicht-mehr-Neger-sagen-dürfen, Berührerinnen-für-Krüppel-auf-Kasse, Israel-ist-böse und all dem anderen Wir-sind-jetzt-alle-lieb-zueinander, wenn das Leben nur noch zwischen Pickel und ersten Falten stattfindet?

 

Radiojournalistin

Ich habe das so nicht gemeint.

 

Jean Krieg

Wie haben Sie es gemeint?

 

Radiojournalistin

Verstehen Sie nicht, daß die Menschen Ihre Affäre mit der neuen Miß Schweiz geschmacklos finden?

 

Jean Krieg

Geschmacklos? Alter Sack sucht junges Fleisch? Junges Fleisch sucht altes Geld? Irina verdient ihr eigenes Geld, keine Sorge. Die Menschen finden Ihre Unterstellung geschmacklos.

 

Radiojournalistin

Ich rede nicht von Geld.

 

Jean Krieg

Das ist das Problem. Geld ist wenigstens ein Argument. Sie reden von Vorurteilen.

 

Radiojournalistin

Um mich geht es hier nicht.

 

Jean Krieg

Ich denke, diese Sendung ist ein Gespräch? Zu einem Gespräch gehören zwei. Wenn das ein Tribunal wird, machen Sie das Band aus und holen Ihren Chef. Ich schlage keine Frau.

 

Radiojournalistin

Die Sendung ist live, Herr Krieg.

Targa Florio