Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Der Krüppel von Inishmaan von Martin McDonagh Theater Stück Dramaturgie Inszenierung Presse Photos

Inishmaan ist eine Insel, daran läßt die Kulisse keinen Zweifel. Bühne und Zuschauerraum sind durch einen Wassergraben getrennt, in dem fast alle Akteure im Verlauf des Stücks zumindest einmal baden gehen.

 

Doch dieser Spaß der Regie darf nicht sprichwörtlich genommen werden. Das Stück Der Krüppel von Inishmaan von Martin McDonagh, mit dem das Oldenburgische Staatstheater am Sonnabend im Kleinen Haus eine umjubelte Premiere und gleichzeitig die deutsche Erstaufführung feierte, ist alles andere als ein Reinfall. Der Schweizer Regisseur Urs Odermatt hat ein gelungenes Stück gelungen in Szene gesetzt.

 

Inishmaan gehört zu den Araninseln vor der irischen Küste, wo eine Handvoll Menschen der schroffen Natur und den widrigen Lebensumständen trotzt. Das Stück spielt in den dreißiger Jahren, als der (echte) amerikanische Naturforscher und Regisseur Robert Flaherty auf der Inselgruppe den Film Man of Aran drehte. Der Mythos Hollywood zieht die (fiktiven) Inselbewohner aus McDonaghs Geschichte magisch an. Am Ende ist dieser Hoffnungsschimmer verblaßt, und von den Klischees, die über die rothaarigen, wettergegerbten Iren in den Köpfen herumspucken, bleibt auch nicht viel übrig.

 

Irland, das Wortspiel zwängt sich förmlich auf, ist Irrland – ein Umstand, auf dem Urs Odermatt genüßlich herumreitet. Keine der Figuren ist so ganz richtig im Kopf. Doch die Iren mögen ihrem Landsmann McDonagh das wenig schmeichelhafte Bild, das er von ihnen zeichnet, verzeihen. Denn Inishmaan ist überall, die Insel könnte auch New York, Moskau oder Oldenburg heißen.

 

Odermatt hat den Text leicht gekürzt, dafür den ohnehin schrulligen Rollen eine gehörige Zusatzdosis Tragikomik verpaßt. So avanciert Henning Garsten Vogt als unbeholfener Bartley im Pumuckl-Look zum Comedy-Star. Die beiden Tanten Kate (Elfi Hoppe) und Eileen (Marlene Achtermann) meistern ihr Zwillings-Schicksal mit bittersüßer Hingabe. Die hübsche Helen (Barbara Brandhuber) wehrt sich ihrer Haut, indem sie zuschlägt, bevor sie geschlagen wird, Babbybobby (Ulf Perthel) frißt die Enttäuschungen des Lebens dagegen in sich hinein. Johnnypateemike (Rudolf Bellgrasch) sorgt dafür, daß der Klatsch unters Volk kommt, seine Mutter (Ilse Ranft) säuft sich derweil mit Whisky und selbstgebranntem Potheen ins selige Dauerdelirium. Selbst der hilflose Inselarzt (Thomas Lichtenstein) ist bei Odermatt für Lacher gut.

 

Der einzig „Normale“ in diesem skurrilen Häufchen ist „Krüppel-Billy“ (Clemens Deindl), ein intelligenter, körperlich behinderter, sterbenskranker Junge, der den Sprung nach Hollywood schafft, um nach wenigen Monaten desillusioniert zurückzukehren und zu Hause auf den Tod zu warten.

 

Die graue Bühne von Martin Warth erinnert an schroffe Felsen, die einzigen Requisiten sind eine Schaukel, ein Boot, ein Katzenimitat, ein Bett, ein Destilliergerät und eine Menge roher Eier. Der größte Teil des Stücks spielt sich rund um das Wasserbecken am vorderen Bühnenrand ab. Die erste Reihe bekommt so manchen Spritzer ab – das neue Kleine Haus trägt seinen Namen nicht umsonst.

 

Bei allem Klamauk: der Regisseur weiß genau, wo die Grenzen sind. Das Stück ist oft lustig, lächerlich ist es nie. Die Gags pointieren die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, ohne dabei den Ernst des Lebens in den Dreck zu ziehen. Zentrale Themen in McDonaghs Stück sind Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit, Lieblosigkeit, Todesangst und Todessehnsucht. In Oldenburg geht nichts davon verloren.

Ulrich Schönbom

Tragikomik am Wasserbecken

Nordwest-Zeitung, Oldenburg, 5. Oktober 1998

Regisseur Urs Odermatt treibt seine (selbst-)ironischen Spielchen mit den Erwartungen der Zuschauer und diese danken es ihm mit Begeisterung. Er läßt seine Figuren mit brüchiger oder wütender Stimme irische Lieder singen, obwohl die gar keine Lust haben, dem Klischee zu entsprechen. Er zeigt dem Publikum eine splitternackte Helen (Barbara Brandhuber) obwohl das Stück in keiner Weise danach verlangt. Er läßt die Schwestern Kate (Elfi Hoppe) und Eileen (Marlene Achtermann) monotone Brocken Gälisch aufsagen, um sie kurze Zeit später als Margaret-Thatcher-Parodien auf die Bühne zu schicken. Er läßt als zusätzliche Figur einen absurden Torfstecher durchs Bild laufen, der sich aus einem anderen, älteren Stück verirrt zu haben scheint. Und er läßt Theater sich als Theater zu erkennen geben. Krüppel-Billy (Clemens Deindl), der aus der Trostlosigkeit Inishmaans nach Hollywood ausreißt, um desillusioniert, reumütig und nebenbei todkrank in seine Heimat zurückzukehren, wird so zur allegorischen Verkörperung eines Theaters, das sich im Kampf um die Gunst der Zuschauer bei Film und Fernsehen anbiedert.

 

Keine dieser Deutungen ist abwegig, aber, und das ist die Crux, keine ist zwingend. Das Stück Martin McDonaghs besitzt genug komisches Potential für zwei Inszenierungen und benötigt keine zusätzlichen Kalauer. Es besticht auch dadurch, daß übliche stereotype Vorstellungen über Irland gerade nicht oder nur am Rande auftauchen und so die räumliche Begrenzung transzendiert wird und den Blick freigibt auf menschliche Konstellationen jenseits aller Klischees. Oderrnatts ironische Spielerei mit solchen Klischees bewirkt das genaue Gegenteil: es verankert die Figuren nur stärker im irischen Setting (und arbeitet damit gegen den Effekt des relativ abstrakten Bühnenbildes von Martin Warth). Das Stück lebt nicht nur von sprachlicher wie körperlicher Brutalität, sondern auch von kleinen Gesten und verstohlenen Blicken ebenso wie von der Stille zwischen den Zeilen, die in der Oldenburger Inszenierung viel zu häufig dem sicheren, aber flüchtigen Lacher geopfert werden. Solcherlei Fisimatenten machen aus einem der stärksten Theaterstücke der letzten Jahre einen zweifellos kurzweiligen und unterhaltsamen Comedy-Klamauk. Als Theater wird die Inszenierung durch die Kraft der Textvorlage zwar so eben noch gerettet. Was aber bleibt ist das unangenehme Gefühl, mal wieder im falschen Film gewesen zu sein.

Peer Brinkmann

Im falschen Film gewesen

Diabolo, Oldenburg, November 1998